PAUKEN vs. LERNEN
Mit »PAUKEN« meine ich das sture Büffeln isolierter Daten, Fakten, Informationen, die uns entweder nicht interessieren und/oder keinen SINN bieten (z.B. eine PIN-NUMMER). Ist die Info sinnlos, dann können Gedächtnis-Tricks (sogenannte mnemonische Techniken) und Eselsbrücken helfen. Enthalten die zu lernenden Infos hingegen SINN (Bedeutung), dann ist es weit interessanter, intelligenter und erfolgreicher, sie anhand dieser Bedeutung zu erfassen. Merke: Was wir einmal begriffen haben, ist schon (fast) »gelernt«.
Dieses BEGREIFEN bezeichnen Forscher als KONSTRUKTION, weil dabei die einzelnen InformationsBits wie Bausteine zu einem »Wissens-Gebäude« zusammengefügt werden. Wenn aber der AUFBAU von Wissen eine Form der KONSTRUKTION darstellt, kann man das spätere Erinnern als RE-KONSTRUKTION bezeichnen. Ein Beispiel: Ich habe Abertausende von Seminar-TeilnehmerInnen viele Jahre lang gebeten, Fragebögen auszufüllen. Eines der Themen umfaßte die Art von Dingen, an die man sich schlecht/gut erinnert. Dabei stellte sich immer wieder heraus, daß wir uns an STORIES extrem gut, an isolierte Daten und Fakten hingegen extrem schlecht erinnern. Demzufolge wäre es sinnvoll, diese in STORIES einzubetten. Darauf basieren mnemotechnische Methoden seit 2500 Jahren, und es ist das Kernstück hinter den Tricksmoderner »Gedächtnis-Trainer«: Man erfindet möglichst alberne Stories, um sich z.B. Geschichtsdaten oder chemische Formeln zu merken. Auch ich habe 1970 bis Ende der 1980er Jahre solche Tricks entwickelt und meinen TeilnehmerInnen und LeserInnen angeboten, aber die Gehirnforschung hat immer klarer gezeigt, daß es bessere Wege gibt. Deshalb plädiere ich dafür, daß wir lieber versuchen sollten, die »nackten Daten« zu begreifen, denn Begriffenes bettet sich automatisch in SINNVOLLE Verbindungen im Gehirn ein, und es sind VERBINDUNGEN, die Infos später wieder »auffindbar« machen, nicht die Informationen, Daten, Fakten als solche. Begreifen wir das, nehmen wir beim Lesen, Hören, Denken eine qualitativ hohe KONSTRUKTION vor. Nun gilt die Regel:
Die Qualität der KONSTRUKTION entscheidet über die Qualität der RE-KONSTRUKTION.
Im Klartext: Je besser uns die sinnvolle KONSTRUKTION gelingt, desto leichter können wir das Gelernte später RE-KONSTRUIEREN, nicht nur, aber auch in einer PRÜFUNG. Diese Art von echtem Lernen integriert Neues in unser vorhandenes Wissens-Netz (oder Wissens-Gebäude), und wenn etwas INTEGRIERT wurde, ergeben sich Verbindungen mit vielen anderen Teilen des Netzwerks. Deshalb können die neuen Infos später in allen möglichen neuen Zusammenhängen auftauchen, sprich in unser Bewußtsein »aufsteigen«, so daß wir erfolgreich auf dieses Wissen zugreifen können.
008
Da unser Hirn ASSOZIATIV arbeitet, fällt uns assoziatives Denken am leichtesten, und gerade dieser angeborene Denk-Stil wird vom Schulsystem in der Regel NICHT nur nicht gefördert, sondern massiv behindert. Assoziativ sind z.B. die EIGENEN Gedanken, die einem »einfallen«, wenn man etwas aufnimmt (hört oder liest). Gerade EIGENE Gedanken sind jedoch in der Schule nur selten erwünscht. Man soll sich auf das konzentrieren, was »da vorne« angeboten wird, also auf die Gedanken der Lehrkraft beziehungsweise die Gedanken aus dem Lehrbuch, die gerade vorgetragen (oder gelesen) werden. Da unser Gehirn aber regelrecht stoppt, wenn wir den assoziativen Fluß unterbrechen, haben wir dann das Gefühl, wir könnten die angebotenen Infos oder Gedanken nicht aufnehmen, und deshalb glauben die meisten Menschen, man müsse nach der Schule heimgehen und dort zu »lernen« beginnen. Das ist Unsinn! Wenn Sie einen Film ansehen oder aus privatem Interesse ein Buch lesen, dann wissen Sie genau, daß Sie im Kino oder beim Lesen begreifen und sich vieles merken werden. Genauso wissen Sie, daß Sie sich später an die wunderbare Geburtstagsfeier erinnern werden, an den Wander- oder Urlaubstag etc. Warum sollte es im Unterricht anders sein? Wieso kann man sich in der Schule, einem angeblichen »Lernort«, so wenig merken, daß man immer »nacharbeiten« muß? Und mit »nacharbeiten« meinen wir nicht die offiziellen »Hausaufgaben«, sondern die Tatsache, daß viele SchülerInnen betonen, sie würden während des Unterrichts kaum etwas verstehen oder gar einspeichern. Merke: Was wir wirklich ge-LERN-t haben, wird »ganzheitlich« abgespeichert.
Es wird zu einem »Faden« oder »Knoten« in unserem Wissens-Netz, und seine Verbindungen können quer durch das ganze Netz reichen.
Demzufolge können später verschiedenste Ideen, Fakten, Gedanken etc. diese Infos in uns »anreißen«, so daß sie »plötzlich« in uns auftauchen. Was wir hingegen ge-PAUK-t haben, wird punktuell gespeichert und kann nur in sehr ähnlicher Form wieder »angerissen« werden: Vokabeln aus Vokabellisten tauchen zwar beim Abfragen wieder auf, nicht aber, wenn wir uns in einer tatsächlichen Gesprächs-Situation befinden und sie praktisch NUTZEN wollen! Ge-PAUK-te Geschichtszahlen tauchen in isolierter Form kurzfristig, z.B. in der Prüfung, auf, aber schon Wochen später kann man kaum eine davon RE-KONSTRUIEREN – eben weil sie nicht wirklich in unser Wissens-Netz integriert wurden. Wir können auch sagen:
009
Ge-PAUK-te Infos landen in Abstellräumen des Gedächtnisses. Sie werden nicht ins Wissens-Gebäude integriert, werden nicht Teil unseres aktiven Wissens-Netzes und demzufolge auch nicht Teil unseres Wissens.
Deshalb stehen sie bei normalen Denkvorgängen (analytisch oder kreativ) auch nicht zur Verfügung, wenn wir sie brauchen. Sie sehen also: Es lohnt sich durchaus, gleich richtig zu LERNEN, auch wenn Sie nur eine Prüfung »schaffen« wollen, denn: Je mehr Sie wissen, desto leichter können Sie Neues ins Wissens-Netz integrieren
Lassen Sie uns die zweite Frage (Seite 20) aufgreifen.